Bleicher Bruder – Wolfgang Borchert: Mehr als nur ein Schulname

Ein Auszug aus der Festival-Zeitung des SDL 2016 „Lautschrift“, Ausgabe 4, 22.9.2016 (nach unserer Aufführung, S. 13, 14)

„Wer ist dieser Wolfgang Borchert? Borchert am Arsch!“ Dass sich diese Einstellung schnell ändern kann, zeigten die 14 Schauspieler des Wolfgang-Borchert-Gymnasiums aus Halstenbek. Dafür nahmen sie das Publikum auf eine Reise in die Zeit des 2. Weltkrieges, in der Wolfgang Borchert lebte und die ihn prägte.

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Bereits als sich die Türen zum Zuschauerraum öffneten, tauchte man in eine andere Atmosphäre ein. Die Spieler standen im Raum verteilt in ihren weißen T-Shirts und Jeans-Latzhosen. Auf der Leinwand an der Bühnenrückwand liefen Fotos aus dem Leben Borcherts. Und wieder hieß es: „Wer ist Wolfgang Borchert? Der interessiert uns nicht! Warum schreibt der so düster?“ Das Saallicht geht aus, die Bühne wird beleuchtet und die Schauspieler machen sich auf den Weg auf die Bühne.

In gelangweilt, monotoner Stimme wird der Charakter von Borcherts Generation beschrieben: „Wir sind eine Generation ohne Tiefe, ohne Bindung. Eine Jugend ohne Jugend!“ Nun beginnt die Reise durch Wolfgang Borcherts Leben. Dichter möchte er werden und Schauspieler. Dabei halten alle seine Worte und Gedichte für unreif. Die Szenen bisher waren fröhlich, ein plötzlicher Cut und der Einberufungsbefehl zum Kriegsdienst machen deutlich, wie nah doch Freud und Leid in dieser Zeit beieinander liegen. Die einzige Requisiten, die Regenschirme, setzen die Spieler gekonnt ein. Auch im Kriegsdienst kommt Borchert nicht davon. Ein Haftbefehl folgt. Die Gruppe verteilt sich erneut im Zuschauerraum – ein abwechslungsreiches Bild – und beschreibt die Szenen während der Verhandlung Borcherts. Dieser fühlt sich selbst ausgeliefert. Er möchte das Leben an den Haaren packen. Schicksal spielen und selbst über Leben und Tod entscheiden. Pläne hat er! Nach dem Krieg will er ein Theater in Hamburg eröffnen. „Ich kann das schaffen!“, singt die Gruppe. Doch schnell wird Borchert in die Realität zurückgerissen. Er befindet sich im Kriegsdienst, ist Kegler, Kugel und Kegel zugleich. Menschen erschießen, auch wenn man sie nicht kennt und ihre Sprache nicht spricht. Einfach schießen, das ist der Befehl. Nun entwickelt sich die wohl eindrucksvollste Szene der Inszenierung. Aus einem wilden Durcheinanderlaufen entsteht eine Reihe, aus einem ungleichmäßigen Gang wird ein gemeinsames Marschieren. Die Gruppe verlässt die schwarze Bühne, und läuft hinter der weiß beleuchteten Leinwand entlang, sodass lediglich die Schatten zu erkennen sind. Als das normale Bühnenlicht wieder angeht, erfährt der Zuschauer, dass durch den Krieg Hamburg und Umgebung binnen weniger Tage komplett zerstört wurde.

SH-Bleicher Bruder

Ein Mann kehrt nach Deutschland zurück, Land und Person waren anders, als er wegging. Er findet eine verrückte Welt vor. Ein Flügel beginnt zu spielen, und ein Schauspieler singt: „…it´s a mad world.“ Ein sehr bewegender Moment! Borchert ist in ein Zuhause zurückgekehrt, das kein Zuhause mehr ist.

Borcherts Leben ist nicht von langer Dauer, er kommt krank zurück und stirbt mit nur 26 Jahren. Er wollte einfach nur leben. Nun wiederholt sich die Szene vom Anfang. „Wir sind zwar eine Generation ohne Abschied, aber wir sind eine Generation der Ankunft!“ Ein Blick in Wolfgang Borcherts Biographie, der seine Texte verständlicher macht, ist beendet.

Die Schüler aus Schleswig-Holstein haben gezeigt, wie wichtig es ist, sich mit Persönlichkeiten der Vergangenheit auseinander zu setzen, um sie zu verstehen und um zu erkennen, wer sie wirklich waren. Dies enorm eindrucksvollen Bilder der Szenen rissen die Zuschauer schnell mit. Abwechslungsreich gestalteten sie diese mit Gesang, Choreografien und einem vielseitigen Einsatz des Bühnenlichtes. Die Schauspieler zeigten eine sehr hohe Bühnenpräsenz. Ob im direkten Fokus, im Hintergrund oder auch im Dunkel, blieben sie stets in der Rolle und im Stück. Belohnt wurde diese Leistung sofort. Kaum waren Bühne und Schauspieler ins Black gefallen, brach ein tosender Applaus aus, verdiente Standing-Ovations inklusive!

Julia Wedderkopf, Redaktion


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